… denke ich zumindest, als ich am Montagmorgen die ersten paar Menschen an der Oxford Street zur Arbeit gehen sehe. pawauw.com Es ist ein kühler Morgen, ab und zu fallen einem ein paar Regentropfen auf den Kopf – nichts Aussergewöhnliches für diese Stadt. Was mich dafür viel mehr überrascht: Die Dame im luftigen Sommerkleidchen und den klobigen Nike-Sneakers neben mir in der U-Bahn.

Ich will sie am liebsten an ihren blassen Schultern packen, einmal durchschütteln und sie fragen „You MUST BE freeeeezing!“. Aber dazu kommt es natürlich nicht. Denn nach ihr folgten noch einige solche aussentemperatur-unabhängige Outfits, bei denen meine Freundin und ich nur staunen konnten.
In einem Video der New York Times von Bill Cunningham meinte der ü80-jährige Streetstyle-Fotograf kürzlich: «I think, fashion has become so predictable […], that it’s time to invite the art world in for collaboration.» (Ich glaube, Mode ist so voraussehbar geworden, dass es Zeit wird, die Kunst(welt) zu miteinzubeziehen.) Und das ist genau das, was die Londoner schon seit längerem machen. So muss es wohl in einer Welt aussehen, in der die Mode zur Kunstform wird, und jeder anzieht, was er will – ganz egal, was alle anderen um einen herum denken. Der Selbstinszenierung sind keine Grenzen mehr gesetzt, und die Strassen, die Subway Stationen und die Parks werden zu Museen, die Kleiderläden zu Kunstsammlungen und die Menschen zu Künstlern mit den Kunstwerken am eigenen Leib.
Eins dieser Kunstwerk ist mir bis heute noch präsent: Ein Herr trägt pinke Gummistiefel, kombiniert zu einer eleganten gelben Hose mit einem blau-weissen Karo-Hemd und schicker Brille. Er will sich nicht fotografieren lassen – «I’m in a hurry!». Aber auffallen tut er nicht. Es interessiert keinen wie du hier rumläufst.
Komplimente überraschen sie aber: Darauf angesprochen, wie toll ich ihr Outfit finde, reagiert Kristina total süss: «Oh really? You want to shoot me in THESE SHOES? You’re SO cute!»
Allgemein sind alle irgendwie gut drauf, mit sich im Reinen, und sehen dabei total hip aus. Die Auswahl an ausgefallen gekleideten Leuten ist enorm. Ich bin im Paradies!
Aber vom Paradies komme ich mit der Rolltreppe bei Topshop nicht nur in die Damenabteilung, sondern damit auch gleich in die Shopping-Hölle: Ich scheitere tatsächlich daran, in der Menge von all den speziellen Schnitten, Mustern und Farbkombinationen etwas Tragbares zu finden. 
Total frustriert und am Ende verlasse ich den dreistöckigen Laden mit einem kleinen, grauen Stirnband. Nicht einfach ein gewöhnliches Stirnband, sondern eins mit eingestrickter Schleife und glitzernden Elementen in der Wolle. Passend zum windigen Wetter. Und passend zu den Londonern. Darum behalte ich es auch gleich an für die Bootsparty, an der wir am Abend eingeladen sind. So etwas geht nur in London.
Eigentlich schade – denke ich mir dabei. Warum soll nicht jeder das anziehen können, was er oder sie gerade will, worauf man eben gerade Lust hat? Sind wir Schweizer zu bieder dafür? Haben wir tatsächlich so sehr Angst vor der Meinung der anderen Leute?
Ich weiss nur Eines: In gut zweieinhalb Wochen toben sich die Zürcher mode-mässig endlich wieder einmal richtig aus. Immerhin für einen Tag. Denn am 11. August ist Streetparade.